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Schaedigung der Intestinalzellen und systemische Immunaktivierung bei Menschen mit Nicht-Zoeliakie-Weizensensitivitaet

Uhde M, Ajamian M, Caio G et al (2016)

Gut. E-Pub vor Print-Pub. doi:10.1136/gutjnl-2016-311964

Einige Menschen klagen nach dem Verzehr von Weizen und anderen glutenhaltigen Getreidearten über Zöliakie-ähnliche Beschwerden, obgleich bei ihnen keine serologischen oder histologischen Marker für eine Zöliakie (CD) nachgewiesen werden können. Dieses Krankheitsbild wird als Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität (NCGS) oder Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität (NCWS) bezeichnet.
Beide Begriffe werden austauschbar verwendet. Zu den mit diesem Krankheitsbild assoziierten Zöliakie-ähnlichen Symptomen gehören vorrangig Blähungen, Bauchschmerzen, Diarrhö, Fatigue, Kopfschmerz und kognitive Störungen.
 
Trotz des großen wissenschaftlichen Interesses an dieser Krankheit sind sowohl die Ätiologie als auch die Mechanismen der assoziierten Symptome noch weitgehend unerforscht und es wurden bis dato keine diagnostischen Biomarker identifiziert. Einige Studien legen jedoch nahe, dass bei einer Subgruppe dieser Patienten Störungen der interzellulären Barrierefunktion (Abdichtung des Interzellularraumes durch Tight Junctions) und der Immunaktivierung vorliegen. Die Autoren dieser Studie untersuchten die folgende Hypothese: Eine verstärkte Antikörperreaktion auf gegen natives Gliadin gerichtete Antikörper bei NCWS-Patienten kann eine Folge von bestehenden Defekten der epithelialen Barriere des Darmgewebes sein. Die Schleimhautepithelschicht des menschlichen Darms ist kontinuierlich einer Vielzahl von Mikroorganismen ausgesetzt. Ist die Funktion der epithelialen Barriere gestört, wird infolge der Translokation mikrobieller Bestandteile vom Darmlumen in den Blutstrom eine systemische Immunantwort aktiviert. Die Ziele dieser Studie waren:
 
  1. Untersuchung, ob eine systemische Immunaktivierung als Reaktion auf translozierte mikrobielle Bestandteile ein Merkmal der NCWS sein könnte
  2. Untersuchung, ob ein kausaler Zusammenhang zwischen dieser systemischen Immunaktivierung und einer gestörten Funktion der intestinalen epithelialen Barriere besteht
  3. Untersuchung, ob diese systemische Immunaktivierung oder die Schädigung des Epithels auf ein Ernährungsregime unter Verzicht auf Weizen und andere glutenhaltige Getreidearten anspricht
In diese Studie wurden 80 Patienten eingeschlossen, die die Kriterien des kürzlich formulierten diagnostischen Protokollmodells „Diagnosis of Non-Celiac Gluten Sensitivity (NCGS): Salerno Experts Criteria“1 erfüllten. Die Patienten wurden gebeten, eine modifizierte Version der Gastrointestinal Symptom Rating Scale (GSRS) auszufüllen, um zu bewerten, wie sich ein Ernährungsregime ohne Weizen, Roggen und Gerste und die Wiedereinführung dieser Getreide auf ihre mit NCGS/NCWS assoziierten Beschwerden auswirken. Von allen Patienten lagen Serumproben vor, die unter einer uneingeschränkten Ernährung entnommen worden waren. Zudem standen von 20 Patienten Proben zur Verfügung, die vor sowie nach einem selbst überwachten Weizen-, Roggen- und Gerste-freien Ernährungsregime über 6 Monate entnommen worden waren. Die Autoren der Studie werteten zudem Serumproben von 40 Patienten mit einer durch eine Dünndarm-Biopsie bestätigten aktiven Zöliakie aus sowie die Proben von 40 gesunden Kontrollen (beide Gruppen zum Zeitpunkt der Probennahme unter normaler/uneingeschränkter Ernährung).
 
Marker für CD und Immunreaktivität auf Gluten
 
Bei 26 % der NCWS-Patienten wurden die Genotypen HLA-DQ2 bzw. HLA-DQ8 festgestellt (mit der Allgemeinpopulation vergleichbare Rate). Die histologische Untersuchung der Dünndarm-Biopsien ergab bei 60 % der NCWS-Patienten eine normalgesunde Mukosa; bei den verbleibenden 40 % wurde ein vermehrtes Auftreten von intraepithelialen Lymphozyten festgestellt (Marsh 1). Alle CD-Patienten testeten positiv auf HLA DQ2/8, die histologischen Untersuchungen ergaben durchgängig Veränderungen der Darmschleimhaut vom Typ Marsh 3. Im Vergleich mit den gesunden Patienten der Kontrollgruppe waren die Werte für die gegen natives Gliadin gerichteten IgG-, IgA- und IgM-Antikörper bei den NCWS-Patienten signifikant erhöht.
 
Systemische angeborene Immunaktivierung in Reaktion auf mikrobielle Bestandteile
 
Bei den NCWS-Patienten wurden gegenüber den gesunden Patienten der Kontrollgruppe und den CD-Patienten signifikant erhöhte Serumspiegel des Lipopolysaccharid-bindenden Proteins (LBP) und der löslichen Form des Glykoprotein Cluster of Differentiation 14 (sCD14) nachgewiesen. Die starke Korrelation zwischen diesen erhöhten Proteinkonzentrationen lässt darauf schließen, dass diese Moleküle, beides Schlüsselkomponenten des angeborenen Immunsystems, bei NCWS-Patienten zeitgleich als Reaktion auf denselben Stimulus exprimiert werden. LBP, ein lösliches Akute-Phase-Protein, bindet an das Lipopolysaccharid (LPS) auf der Zelloberfläche von Bakterien. Dieser LPS:LBP-Komplex bindet wiederum an die membrangebundene Form von CD14 (mCD14) auf Makrophagen, Neutrophilen und anderen Zellen. Dadurch wird ein benachbarter membranständiger Toll-like Rezeptor 4 (TLR4) stimuliert, der die Signalkaskade für die Immunantwort auslöst. Die lösliche Form des CD14 (sCD14) findet man im Blutstrom. sCD14 bindet LPS mithilfe von LBP und verstärkt die TLR4-Aktivierung. Translozierte zirkulierende LPS können zu einer Hochregulierung der LBP-Synthese durch Epithelzellen des Gastrointestinaltrakts und der Leber und einer verstärkten LBP-Sekretion in den Blutstrom sowie zu einer beschleunigten Freisetzung von sCD14 aus Monozyten und Makrophagen führen.
Bei den NCWS-Patienten zeigten sich zudem signifikant erhöhte Spiegel der IgM-Endotoxin-Core-Antikörper (IgM-EndoCAb), die zur Neutralisierung der zirkulierenden bakteriellen Endotoxine ausgeschüttet werden. In Korrelation dazu waren die Spiegel der gegen Flagellin gerichteten IgG- und IgM-Antikörper bei den NCWS-Patienten gegenüber den gesunden Kontrollen ebenfalls signifikant erhöht. Flagellin ist der Hauptbestandteil des Filaments in bakteriellen Geißeln (schwanzähnliche Zellfortsätze beweglicher Bakterien). Diese Ergebnisse belegen die Translokation mikrobieller Bestandteile durch die epitheliale Barriere und die Aktivierung des angeborenen und adaptiven Immunsystems in Reaktion auf diesen Stimulus bei NCWS-Patienten unter uneingeschränkter Ernährung. Letztlich führt die Signaltransduktion, die der Aktivierung von TLRs vorausgeht, zu Expressionen verschiedener proinflammatorischer Zytokine, die schädliche lokalisierte und/oder systemische Auswirkungen haben können, ein Modell, das mit dem in der Regel schnellen Auftreten der mit NCWS assoziierten Symptome übereinstimmt. 
 
Zusammenhang zwischen systemischer Immunaktivierung und Schädigung des Intestinalepithels
 
Im Vergleich mit den gesunden Kontrollen waren die Serumspiegel des Fettsäure-bindenden Proteins 2 (FABP2), einem Blutmarker für intestinale Epithelschäden und ein nützlicher Indikator zur Identifizierung akuter intestinaler Verletzungen, sowohl bei den NCWS- als auch bei den CD-Patienten signfikant erhöht. Die FABP2-Konzentrationen der NCWS-Patienten korrelierten zudem mit den LBP-, sCD14-, IgM-EndoCAb- und Anti-Flagellin-IgM-Spiegeln, während die FABP2-Konzentrationen der CD-Patienten mit den IgA-tTg-Antikörper-Spiegeln korrelierten. Diese Ergebnisse zeigen, dass Marker für intestinale Epithelschäden mit denjenigen für eine akute systemische Immunaktivierung in Reaktion auf die Translokation mikrobieller Bestandteile korrelieren.  Trotz der nachweislichen intestinalen Epithelschäden und anders als bei der CD konnten weder diese noch vorangegangene Studien bei der histologischen Untersuchung der Dünndarm-Biopsien von NCWS-Patienten eine Zottenatrophie oder Anomalien der Mukosa-Architektur nachweisen. Der Grund hierfür ist möglicherweise, dass die mit NCWS assoziierten Veränderungen des Epithelgewebes weniger ausgeprägt sind als bei der CD. Des Weiteren wird FABP2 primär von den Epithelzellen im Jejunum und nicht im Duodenum exprimiert. Dies könnte bedeuten, dass die Schleimhautschäden an einer anderen Stelle des Intestinaltrakts zu suchen sind.
 
Ansprechen auf ein eingeschränktes Ernährungsregime
 
Die Spiegel der Serummarker für Immunaktivierung und Epithelschäden wurden bei 20 der NCWS-Patienten vor und nach dem Ernährungsregime unter Verzicht auf Weizen, Roggen und Gerste bestimmt. Alle Patienten berichteten am Ende der 6 Monate über eine Verbesserung der Symptome. Dies spiegelte sich in der signifikanten Reduktion der Symptom-Scores in Verbindung mit erniedrigten Serumspiegeln der gegen Gliadin gerichteten IgG-, IgA- und IgM-Antikörper wider. Des Weiteren wurden bei diesen Patienten gegen Ende des eingeschränkten Ernährungsregimes signifikant niedrigere LBP-, sCD14-, IgM-EndoCAb-, Anti-Flagellin-IgG- und IgM-Antikörper- und FABP2-Serumspiegel gemessen. Eine Einschränkung ergab sich jedoch für diesen Teil der Studie aus dem Fehlen einer gesunden Kontrollgruppe, um die potenziellen Auswirkungen eines eingeschränkten Ernährungsregimes auf nicht betroffene Menschen zu beurteilen.
 
Schlussfolgerungen/Konsequenzen für die klinische Praxis
 
Die Ergebnisse dieser Studie belegen das Vorhandensein objektiver Marker für eine systemische Immunaktivierung und korrelierender Serummarker für intestinale Epithelschäden bei Menschen mit Nicht-Zöliakie-Sensitivität gegenüber Weizen, Roggen und Gerste. Diese Studie untersuchte jedoch nicht die potenziellen Mechanismen oder molekularen Auslöser in Weizen, Roggen oder Gerste, die für die Funktionsbeeinträchtigung der epithelialen Barriere und die daraus resultierende mikrobielle Translokation verantwortlich sind. Weitere Studien sind nötig, um diese Mechanismen zu identifizieren und um den potenziellen Nutzen identifizierter Immunmarker für die Diagnose der NCWS und die Kontrolle des therapeutischen Ansprechens auf bestimmte Behandlungsstrategien zu identifizieren.
 
1 Catassi C, Elli L, Bonaz B et al. Diagnosis of non-coeliac gluten sensitivity (NCGS): the Salerno experts’ criteria. Nutrients 2015; 7: 4966-7
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