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Glutensensitivität bei Leistungssportlern

Hilbers S, Blumenschein B

Sensitivitätsvermutungen- und –diagnosen hinsichtlich Nahrungsmittelunverträglichkeiten sowie Aussagen über gastrointestinale Beschwerden verschiedener Formen häufen sich auch bei Leistungssportlern. Vor allem im Bereich der Kraft-Ausdauer-Sportarten und Spielsportarten scheinen diese speziell im Bereich der Glutensensitivität (GS) verstärkt aufzutreten. Eine mögliche Ursache könnte in der leistungsportspezifischen Gestaltung von Lebensstil und Ernährung liegen, was bislang jedoch noch nicht ausreichend systematisch untersucht wurde. Im Rahmen einer Bachelorarbeit wurde nach intensiver Literaturrecherche ein Anamnese-Tool als Grundlage zur Erfassung und sich anschließender ernährungstherapeutischer Behandlung entwickelt (Hilbers, 2015).
Unter Verwendung definierter Ein- und Ausschlusskriterien wurde in den Datenbanken PubMed und Cinahl eine systematische Literaturrecherche zum Zusammenhang zwischen gastrointestinalen Beschwerden, Nahrungsmittelauswahl und leistungssportspezifischen Faktoren (veränderte zirkadiane Rhythmen, variable Trainingsumgebung, erhebliche körperliche und psychische Belastung) durchgeführt. Ein besonderer Fokus lag auf der Nahrungsmittel- bzw. Speisenauswahl, konsekutiv beschriebenen Symptomen sowie einer validen Erfassung möglicher Zusammenhänge. Die Endpunkte der Studien beinhalteten die Kombination aus gastroenterologischen Beschwerden, Leistungssport und Ernährung.
 
Lebensstil eines Leistungssportlers
 
Leistungssportler haben einen Lebens- und Ernährungsstil, der sich stark von dem der Allgemeinbevölkerung unterscheidet. Durch die körperlichen Trainingsbelastungen, einer speziellen Ernährung, psychischem Druck, Reiseaktivitäten und durch die Umgebungsgegebenheiten ist der Gastrointestinaltrakt (GIT) eines Sportlers den verschiedensten negativen Einflüssen ausgesetzt. Das Auftreten verschiedener gastrointestinaler Beschwerden ist vor allem im Ausdauersport hinreichend bekannt. Dabei nehmen Symptome wie Durchfall, Erbrechen, Übelkeit oder Magenentleerungsstörungen je nach ansteigender Dauer der Belastung zu. Studien belegen ein Auftreten der Beschwerden bei Ultraausdauersportarten bei bis zu 93% der Teilnehmer, im Durchschnitt werden die Beschwerden bei 30-50% aller Teilnehmer beobachtet (de Oliveira et al., 2014). Immer wieder wird das Auftreten der Glutensensitivität bei Leistungssportlern stark diskutiert.
 
Körperliche Belastungen
 
Ausdauersportarten führen während ihrer Ausübung zur Umverteilung des Blutflusses zu Gunsten von Muskeln, Herz und Lunge. Der GIT wird in dieser Zeit nicht ausreichend mit Blut versorgt, bis zu 80% des Blutes strömen in aktives Gewebe. Durch die Minderdurchblutung können Ischämien und eine erhöhte Darmpermeabilität verursacht werden (de Oliveira et al., 2014). Auch bei hohen Maximalbelastungen von mehr als 70% VO2max tritt dieser Effekt auf (Lachtermann & Jung, 2006). Je länger die Belastung andauert, desto häufiger und schwerwiegender treten Symptome auf. Stöße im Bewegungsablauf können mechanische Traumata im Darm bewirken und dadurch zu gastrointestinalen Blutungen führen (de Oliveira et al., 2014). Im Gegensatz zu Stößen, können auch sportspezifische Zwangshaltungen, die über einen längeren Zeitraum eingenommen werden, zu gastrointestinalen Beschwerden führen. Durch einen erhöhten Druck auf den Bauchraum und durch die gestauchte Haltung können Beschwerden im oberen Bereich des GIT wie Übelkeit, Erbrechen, Sodbrennen oder Schmerzen in der Brust auftreten (Peters et al., 1999; de Oliveira et al., 2014).
 
Ein weiterer negativer Effekt auf den GIT eines Leistungssportlers droht durch Dehydrierung während der Aktivität. Wird der Flüssigkeitsverlust größer, verliert der Sportler an Blut- und Schlagvolumen, der Blutdruck und die Schweißproduktion sinken, die Leistungsfähigkeit nimmt ab (de Oliveira & Burini, 2011). Dadurch steigt gleichzeitig die Gefahr der Minderdurchblutung des Darms, die durch die Umverteilung des Blutes während der Aktivität schon gegeben ist.
 
Sportliche Belastungen, die oxidativen Stress auslösen, stehen in Verdacht, das Darmmikrobiom zu verändern und dadurch ein geschwächtes Immunsystem und damit eine erhöhte Infektanfälligkeit zu induzieren (Winzenhöller & Petrak, 2009). Infekte könnten sich in Durchfallerkrankungen äußern, die üblicherweise häufig mit Antibiotika behandelt werden, welche wiederum eine Darmschädigung induzieren. Eine Antibiotikatherapie mit Durchfällen stellt eine weitere Belastung des Darms und eine Leistungsminderung dar.
 
Besonderheiten im Ernährungsstil eines Leistungssportlers
 
Bei Leistungssportlern muss hauptsächlich auf den gesteigerten Energie- und Flüssigkeitsbedarf geachtet werden. Nahrungsmittelbestandteile wie Gluten/Gliadin, FODMAPs, ATI und Lektine haben nachweislich schädigende Wirkungen auf den GIT. Sie können Blähungen, Bauchschmerzen oder Durchfall aber auch allergische Symptome und Entzündungsreaktionen hervorrufen (Wilhelmi et al., 2014; Wieser et al., 2011). Vermutlich wird eine belastungsinduzierte Form der Nahrungsmittelallergien durch die erhöhte Darmpermeabilität, die Minderdurchblutung des Darms und Osmolarität im Darm erzeugt (Barg et al., 2011). Dies ist ein Hinweis darauf, dass durch sportliche Belastung schädliche Nahrungsmittelbestandteile vermehrt in den Organismus gelangen könnten.
Aufgrund des erhöhten Energiebedarfs des Leistungssportlers erhöht sich auch die Menge der zu verdauenden Lebensmittel. Nahrungsmittel, die  reich an Stärke und Ballaststoffen sind, bilden die Grundlage der Ernährung bei Leistungssportlern (Schek, 2014). Meist werden Lebensmittel wie Brot, Gebäck und Nudeln als Sättigungsbeilage empfohlen und zur Deckung des Mikronährstoffbedarfs werden große Mengen an Obst und Gemüse verzehrt (Schek, 2014; Raschka & Ruf, 2013). Diese Lebensmittel beinhalten die oben genannten, schädigenden Nahrungsmittelbestandteile in großen Mengen.
 
Glutensensitivität: Prävalenz, Kenntnisse und „Vermutungen“
 
Gastrointestinale Beschwerden scheinen bei Leistungssportlern häufiger aufzutreten als in der Allgemeinbevölkerung, insbesondere die Prävalenz der Glutensensitivität scheint erhöht (Tab. 1).
 
  Leistungssportler Allgemeinbevölkerung
Reizdarmsyndrom ___ 7% in Europa
 (DVSG, 2011)
Zölakie ___ 0,5-1,0% in Europa
(Reilly & Green, 2012)
Glutensensitivität 10%
(Lis et al., vor Druck)
3-7%
(Schuppan & Zimmer, 2013)
Gastrointestinale Beschwerden bis zu 93% während Ausdaueraktivität
(de Oliveira et al., 2014)
 
Tab. 1: Übersicht über die Prävalenz gastrointestinaler Krankheitsbilder und Beschwerden bei Leistungssportlern im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung
 
Kenntnisse über Ursachen und Entstehung dieser potenziell nahrungsinduzierten Unverträglichkeitsreaktionen sind vielen Athleten, Ärzten und Betreuern nur wenig, im Hinblick auf GS völlig unzureichend bekannt (Lis et al., 2014). Per Onlinefragbogen wurden fast 1000 Leistungssportler aus verschiedenen Sportarten und so genannten Leistungsleveln u.a. zur GS, Beschwerden, einer glutenfreien Ernährung (GFD) befragt. In der Studie wurde der Zusammenhang zwischen Lifestyle und dem Auftreten einer GS beim Leistungssportler erstmalig detailliert untersucht – mit verblüffenden Ergebnissen. Die Studie belegt eine erhöhte Prävalenz von diagnostisch gesicherter GS bei Leistungssportlern von 10% der Studienteilnehmer. Zudem gaben 57% der Befragten an, sie würden vermuten, an GS zu leiden. Eine GFD hielten 41,2% aller Befragten ein (Lis et al., 2014).
 
Die Sportler informierten sich über die Themen GS und GFD hauptsächlich über das Internet (28,7%) und ihre Trainer (26,2%). Von Ernährungsfachkräften (14,4%) bzw. Ärzten (0,5%) erhielten die Athleten verhältnismäßig wenige Informationen. Als Gründe für die Einhaltung einer GFD gaben die Sportler an:
  1. selbst diagnostizierte GS (56,7%; n = 211)
  2. klinisch diagnostizierte GS durch Gluten-Belastungstest (9,9%; n = 37)
  3. Verdacht auf RDS, ausgelöst durch Gluten (8,9%; n = 33)
  4. Tipp aus dem Umfeld, z.B. Trainer, Physiotherapeut, usw. (8,9%; n = 33)
  5. Bluttest beim Heilpraktiker (7,0%; n = 26)
  6. Familienanamnese Coeliac Disease (3,2%; n = 12)
  7. Sonstige (4,8%; n = 18)
 
Bei 80,7% der Leistungssportler verbesserten sich die Symptome Blähungen, Durchfall und Müdigkeit als Einzelsymptome und in Kombination von bis zu drei Symptomen unter Einhaltung der GFD. Die Sportler berichteten subjektiv über eine verbesserte Trainingsleistung (56,3%), weniger Infekte oder Entzündungen (73,3%), weniger gastrointestinale Beschwerden (61,1%), sowie einer gefühlt guten Körperzusammensetzung für eine bessere Leistungsfähigkeit (74,4%).  Diese Angaben wurden jedoch nicht durch weitere Untersuchungen oder Diagnostik belegt. Auffällig scheint, dass nur sehr selten qualifizierte Ernährungsfachkräfte herangezogen wurden, um sich über GS und GFD zu informieren (14.4% Ernährungsfachkräfte, 0,5% Ärzte). Auch die Quote der seriös diagnostizierten Rate der GS von  ca. 10% gegenüber der Rate von GS-Vermutungen von fast 57% ohne gesicherte Diagnose ist sehr auffällig.
 
Diskussion          
 
Eine aktuelle Studie zeigt eine erhöhte Prävalenz von diagnostizierter GS unter Leistungssportlern (ca. 10%) (Lis et al.,2014) gegenüber der Allgemeinbevölkerung mit einer Prävalenz von 3-7% (Schuppan & Zimmer, 2013). Die Prävalenz bei Leistungssportlern könnte noch höher liegen, da zusätzlich ca. 57% der Sportler in der Studie angeben, vermutlich unter GS zu leiden. Sportler, die eine GFD durchführen, gaben zu 80 % an, eine Verbesserung ihrer Beschwerden zu erfahren. (Lis et al., 2014). In der Studie wird in erschreckender Weise aufgezeigt, wie wenig die Athleten über seriöse Quelle, z.B. durch Ärzte (0,5%) oder Ernährungsfachkräfte (14,4%) über GS und GDF informiert sind. Trotz des allgemein erhöhten Interesses an GS und GDF scheinen die Sportler über die Diagnostik der GS und die Risiken einer GFD nicht genügend aufgeklärt (Lis et al., 2014).
 
 
Fazit
 
Gastrointestinale Beschwerden scheinen bei Leistungssportlern häufiger aufzutreten als in der Allgemeinbevölkerung, insbesondere die Prävalenz der Glutensensivität scheint erhöht. Die Kenntnisse über die verschiedenen induzierenden Faktoren und deren Konsequenzen sind derzeit noch sehr gering. Leistungssportler, die in Bezug auf GIT-Symptomatik und GS-assoziierten Beschwerden auffällig werden, sollten umgehend einer medizinischen, psychologischen und ernährungsmedizinischen Diagnostik zugeführt werden. Dabei sollte die Diagnosestellung eindeutig durch die Anamnese einer Ernährungsfachkraft und die Diagnostik durch Mediziner erfolgen und dann notwendige ernährungsmedizinische Therapien eingeleitet werden. Es besteht ein dringender Handlungsbedarf zur Verbreitung von Informationen über die Trias „Krankheitsbild - Sportlicher Aspekt - Ernährung“, sowie über GS und andere gastrointestinale Beschwerden bei Leistungssportlern.
 
Literatur

Hilbers S (2015): Prävalenz und potenziell auslösende Faktoren von gastrointestinalen Beschwerden bei Leistungssportlern. Bachelorarbeit Mathias Hochschule Rheine
de Oliveira E, Burini R, Jeukendrup A (2014): Gastrointestinal complaints during exercise: prevalence,
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Lachtermann L & Jung K (2006): Sport und gastointestinelles System. Deutsches Ärzteblatt 31-32; A-
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Peters H, Bos M, Seebregts L et al. (1999): Gastrointestinal symptoms in long-distance runners,
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Wilhelmi M, Dolder M & Tutuian R (2014): FODMAP – eine häufige Ursache unklarerabdomineller
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Barg W, Medrala W & Wolanczyk-Medrala A (2011): Exercise-Induced Anaphylaxis: An Update on
Diagnosis and Treatment. Curr Allergy Athma Rep 11 (1): 45-51
 
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370-378
 
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www.drschaer-institute.com