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Der Überlappungsbereich zwischen Non Celiac Gluten Sensitivity (Gluten-/Weizensensitivität oder NCGS) und dem weizensensitiven Reizdarmsyndrom (IBS): Ein Update zur Datenlage

Catassi C, Alaedini A, Bojarski C et al. Nutrients 2017,9,1268; doi:10.3390/nu9111268

Bei der Gluten-/Weizensensitivität (NCGS) handelt es sich um eine Störung mit intestinalen und extraintestinalen Symptomen, die nach dem Verzehr glutenhaltiger Nahrungsmittel bei Patienten auftreten, bei denen eine Zöliakie (Celiac Disease, CD) und Weizenallergie (WA) ausgeschlossen werden kann. Das Reizdarmsyndrom (IBS) ist eine durch Bauchschmerzen, Verstopfung oder Durchfall, Blähungen und Völlegefühl charakterisierte Störung. Die klinischen Bilder des IBS und der NCGS zeigen eine erhebliche Überlappung. Die wissenschaftliche Datenlage unterstützt die Hypothese, dass Gluten und andere Weizenbestandteile IBS-Symptome auslösen können. Die Diagnose wird aufgrund der Überlappung und der Nichtverfügbarkeit von IBS-/NCGS-spezifischen Biomarkern erschwert. Ziel dieser Literaturrecherche war die Vorstellung der aktuellen Datenlage zu den komplexen Zusammenhängen zwischen NCGS und dem IBS und die Expertenmeinungen zu diesem Thema.  
Im Dezember 2016 kamen 23 Teilnehmer zu einer Expertentagung zusammen, um einen Konsens zu erarbeiten und die Forschungszusammenarbeit zu fördern. Da bereits im Oktober 2014 eine Literaturauswertung zu diesem Thema veröffentlicht wurde, berücksichtigt diese neue MeSH-basierte (Medical Subject Headings-Datenbank) Literaturrecherche alle ab diesem Datum veröffentlichten Abhandlungen, aber auch relevante historische Arbeiten. Die an der Tagung teilnehmenden Experten lieferten Abstracts zu laufenden Studien, die ebenfalls einbezogen wurden. Basierend auf den vorliegenden Daten wurden fünf Bereiche identifiziert, in denen signifikante Fortschritte erzielt wurden. Diese Bereiche sind nachstehend zusammengefasst.
 

Prävalenz der NCGS: Neue Daten und diagnostische Fallstricke

In der veröffentlichten Literatur werden NCGS-Prävalenzwerte mit einer Spannweite zwischen 0,6 und 10,6 % genannt. Eine Erklärung für die enorme Variabilität ist die Nichtverfügbarkeit von diagnostischen Biomarkern. Zur Abklärung einer NCGS-Diagnose wird ein doppelblindes, placebokontrolliertes (DBPC) Versuchsdesign mit einer Glutenexposition von 8 g empfohlen. Dieses Design ist in der täglichen klinischen Praxis jedoch nicht immer möglich.

Zu den Überlappungen zwischen NCGS und IBS-assoziierten Symptomen liegen nur begrenzte Daten vor. In einer kürzlich in Großbritannien durchgeführten bevölkerungsbasierten Studie, in die mehr als 1.000 Erwachsene einbezogen waren, wurde bei Studienteilnehmern, die nach eigenen Angaben unter NCGS litten, eine höhere IBS-Prävalenz (Rom III) nachgewiesen als bei Teilnehmern ohne NCGS. Ein aufkommendes epidemiologisches Problem sind die NCGS-Eigendiagnosen; hier nennt die Literatur Prävalenzwerte zwischen 6,2 und 13 %. Vor einer NCGS-Diagnose müssen eine CD oder andere mit spezifischen Auslösern assoziierte Ursachen jedoch zwingend ausgeschlossen werden. Patienten die nach Eigendiagnose und ohne medizinische Anweisung oder Beratung eine glutenfreie Ernährung befolgen, sollten darauf hingewiesen werden, dass sie ein 2- bis 42%-iges Risiko eingehen, unter einer nicht diagnostizierten CD zu leiden. Die große Spannweite reflektiert den diagnostischen Bias im Zusammenhang mit den Überweisungsstrukturen der klinischen Zentren, deren Daten veröffentlicht wurden.
 

Aktuelle Datenlage: Nicht IgE-vermittelte Weizenallergie und NCGS

Die Hypothese, dass NCGS eine nicht IgE-vermittelte Weizenallergie sein könnte, basiert auf klinischen Aspekten, Labordaten und histologischen Daten sowie neuen Erkenntnissen endoskopischer Untersuchungsmethoden. Neuere Daten belegen, dass die immunologische Aktivierung der Darmschleimhaut von NCGS-Patienten und gastrointestinale Nahrungsmittelallergien häufig durch IgE-unabhängige Mechanismen vermittelt werden, in die Mastzellen, Eosinophile und andere Immunzellen involviert sind. Eine vermehrte lymphozytäre Infiltration der Darmschleimhaut wurde bei einem über alle Studien konsistenten Prozentsatz Patienten, bei denen im Rahmen eines doppelblinden, placebokontrollierten Provokationstest eine NCGS festgestellt wurde, beobachtet. Bei NCGS-Patienten wurde eine erhöhte Infiltrationsrate der Rektumschleimhaut durch angeborene Lymphozyten berichtet, die nach Einleitung einer weizenfreien Ernährung (WFD) wieder sank. Um abzuklären, ob ein Zusammenhang zwischen NCGS und einer IgE- oder nicht IgE-vermittelten Weizenallergie bestehen könnte, sind weitere Studien erforderlich.

Im Hinblick auf die intestinale Permeabilität bei einer bestehenden NCGS besteht kein Konsens. Jüngere Studien ergaben jedoch eine erhöhte Permeabilität der Darmschleimhaut bei NCGS. In einer Studie wurde eine systemische Immunaktivierung aufgezeigt – möglicherweise im Zusammenhang mit einer gestörten Funktion der intestinalen epithelialen Barriere –, wobei sich der Zustand nach Einleitung einer WFD signifikant verbesserte. Um zu verstehen, wie Weizenbestandteile zu einer gestörten Funktion der intestinalen epithelialen Barriere beitragen können, sind weitere Untersuchungen erforderlich. Nach lokaler Provokation mit einer Weizensuspension wurde die Darmschleimhaut von 36 Patienten in vivo mittels Endomikroskopie mit einer konfokalen Sonde histologisch untersucht. Bei 13 der 36 Patienten wurden charakteristische Veränderungen der Schleimhaut beobachtet. Nach Elimination der identifizierten Trigger, darunter insbesondere Weizen, zeigten sich bei allen Patienten langfristig Verbesserungen. Ein Prozentsatz von 36 % mit weizensensitivem IBS entspricht den Ergebnissen anderer Studien und deutet darauf hin, dass dieses NCGS-Testverfahren trotz des Nachteils, dass das Verfahren unter Sedierung durchgeführt werden muss, eine bemerkenswert hohe Sensitivität und Spezifität besitzt.
   

Potenziell gesundheitsschädliche Weizenbestandteile

Hierzu gehören Glutenproteine, Lipopolysaccharide, Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs), Weizenkeim-Agglutinine (WGAs) und fermentierbare Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide und Polyole (FODMAPs). Glutenproteine machen 70 bis 80 % des Proteingehalts von Weizen aus. Bei CD-Patienten induzieren spezifische Glutensequenzen nachweislich eine angeborene Immunantwort; diese könnten auch bei NCGS eine Rolle spielen. Bei der Durchführung von oralen Gluten- oder Weizenprovokationstests ist Vorsicht geboten, da die Zusammensetzung der Gluten- und Weizenbestandteile eines Produkts multifaktoriell variieren kann. Zu diesen Faktoren gehören u. a. Weizensorte, Kulturvarietät, Anbaubedingungen und Verarbeitung.

Zur Familie der Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs) gehören mindestens 11 strukturell ähnliche Weizenproteine, die einen natürlichen Schutz der Pflanze gegen Schädlinge bilden. Die meisten modernen Brotweizensorten haben einen hohen ATI-Gehalt, während der ATI-Gehalt von Dinkel, Durum, Emmer und Einkorn niedriger ist. ATIs sind auch in anderen glutenhaltigen Getreidearten wie Gerste und Roggen enthalten. In einer Studie, die anhand von Mausmodellen die Immunreaktion des entzündeten Darms auf ATIs untersuchte, verstärkten die ATIs die Immunreaktion. Weizenkeim-Agglutinine (WGAs) vermitteln dem Getreidekorn eine erhöhte Resistenz gegenüber Schädlingen. Es wurde nachgewiesen, dass sie die Ausschüttung von proinflammatorischen Zytokinen induzieren und die Schleimhautepithelschicht des Darms schädigen. Anders als bei den ATIs wurde in vivo jedoch keine die Immunantwort stimulierende Aktivität beobachtet.

FODMAPs werden im Dünndarm nicht oder kaum verdaut und aufgenommen und im Dickdarm ganz oder teilweise fermentiert. Fructane sind FODMAPs, die in Weizen enthalten sind. Der Fructangehalt moderner Weizenbrote liegt bei 0,5 bis 0,7 % (verzehrfertiges Erzeugnis), der von Dinkelbrot bei 0,2 % und der von glutenfreiem Brot ebenfalls bei etwa 0,2 %. Bei glutenfreien Produkten hängt der Fructangehalt von der jeweiligen Rezeptur ab.
 

Pathogene Mechanismen des IBS, die durch Weizen ausgelöst werden können

In einigen Fällen mit endomikroskopischen Merkmalen und histopathologischen Auffälligkeiten wird Weizen als ursächlicher Symptomauslöser betrachtet, der in einer erheblichen Patientenuntergruppe die morphologische Grundlage für eine (entzündliche) Weizensensitivität liefert.
Infolge der unzureichenden Aufspaltung von Gluten und anderen Weizenproteinen im Dünndarm können unverdaute Peptide durch eine durchlässigere Darmbarriere (Leaky Gut Syndrom) in die Submukosa gelangen und eine Immunantwort hervorrufen.

Unabhängig von der auslösenden Weizenkomponente ist man sich einig, dass die Symptome einer Untergruppe von IBS-Patienten durch den Verzicht auf weizenhaltige Nahrungsmittel signifikant verbessert werden können. Bei einigen dieser Patienten kann eine NCGS nachgewiesen werden. Die Gruppe der glutensensitiven IBS-Patienten schließt die große Mehrheit der weizensensitiven Patienten ein, da es nur wenige Fälle von NCGS ohne koexistierendes IBS gibt. Das Zusammenspiel der verschiedenen Weizenbestandteile kann in einer Untergruppe von IBS-Patienten eine breites Spektrum intestinaler und extraintestinaler Symptome auslösen. Dies geschieht durch Modulation der intestinalen Permeabilität, der mikrobiellen Darmflora und der Immunaktivierung; diese Faktoren können allein oder in Kombination auch die Aktivität der Darm-Hirn-Achse und damit die Psyche des Betroffenen beeinflussen, sodass Symptome wahrgenommen werden. In diesem Bereich sind weitere Forschungen erforderlich.
 

Überlappung zwischen IBS-assoziierten Symptomen und NCGS

Die ernährungsmedizinische Erforschung des IBS und seiner Symptome konzentrierte sich bisher auf zwei Hauptkomponenten der westlichen Ernährung, nämlich FODMAPs und Gluten. Die Wirksamkeit und die wahrscheinlichen Mechanismen einer FODMAP-armen Ernährung (FODMAP-Konzept, LFD) wurden in früheren Studien beschrieben. Nicht alle Studien zum FODMAP-Konzept berichteten jedoch einen klinischen Nutzen bei IBS-Patienten, und eine Erstlinien-Ernährungsberatung hat sich als ähnlich wirksam erwiesen. Darüber hinaus ist die LFD ein äußerst komplexes ernährungsmedizinisches Konzept, das die Beratung und Begleitung durch einen erfahrenen Ernährungsberater erfordert, um Erfolg und einen adäquaten Ernährungsstatus zu gewährleisten. Die potenziell negativen Auswirkungen einer FODMAP-armen Ernährung auf die Darmflora und die Adäquatheit der Ernährung erfordert weitere Untersuchungen.
Zwischen NCGS und dem IBS besteht eine Überlappung. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen Störungen besteht darin, dass NCGS-Patienten über Symptome im Zusammenhang mit den Verzehr von glutenhaltigen Produkten berichten. IBS-Patienten nennen Gluten dagegen nicht als spezifischen Auslöser ihrer Symptome. In der bisher veröffentlichten Literatur wird im Zusammenhang mit dem IBS jedoch häufig von „Weizenunverträglichkeit“ berichtet. Aktuelle Daten unterstützen die glutenfreie Diät (GFD) als spezifische ernährungsmedizinische Intervention bei IBS. Die Mechanismen, mit denen Weizen oder spezifische Weizenkomponenten wie Gluten oder ATIs IBS-spezifische Symptome auslösen, werden jedoch kontrovers diskutiert.

Ähnliche Bedenken bestehen im Hinblick auf die Auswirkungen einer GFD oder LFD auf die Darmflora und die Adäquatheit der Ernährung. Eine gewisse Überlappung der beiden Therapiekonzepte ist eindeutig. Eine der Schlüsselkomponenten, die beim FODMAP-Konzept ausgeschlossen wird, ist Weizen. Patienten unter dauerhafter LFD scheinen die reduzierte Aufnahme von Weizen als wesentlich anzusehen, um anhaltende Symptomfreiheit zu gewährleisten. Eine GFD kann die praktikablere Option bei IBS sein, da sie die ernährungsbezogene Lebensqualität nicht in dem Maße einschränkt wie die LFD.
   

Fazit

Es gibt zwei Patientengruppen, die möglicherweise von einer GFD profitieren: Patienten, die nach eigenen Angaben unter glutenbedingten Symptomen und möglicherweise einer NCGS leiden und Patienten mit IBS-assoziierten Symptomen, die ein gluten- oder weizensensitives IBS haben könnten. Heute steht eine Reihe von Ernährungskonzepten zur Verfügung, von denen diese Patienten möglicherweise profitieren können.

Link zum vollständigen Artikel: http://www.mdpi.com/2072-6643/9/11/1268/htm
 
www.drschaer-institute.com