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Glutenfreie Ernährung: auf ausgewogene Zusammensetzung kommt es an

Interview mit Prof. Dr. med. Martin Storr, Gastroenterologe, Starnberg
Wie sind die Ergebnisse der neuen Auswertungen der amerikanischen Kohortenstudien zu bewerten – lässt sich davon ableiten, dass eine glutenfreie oder glutenreduzierte Ernährung generell das Risiko für Herzkreislauf-Erkrankungen oder Diabetes erhöht?
 
Nein, das kann man nicht sagen. Bei den diesen Kohortenstudien wurden Menschen viele Jahre bezüglich ihrer Ernährungsgewohnheiten beobachtet. Es handelt sich jedoch nicht um Menschen, die sich aus bestimmten, gesundheitlichen Gründen für eine glutenfreie Ernährung entschieden haben. Es wurde also im Rahmen der Studien nicht die Frage gestellt, ob sich der jeweilige Proband bewusst glutenfrei ernährt, sondern es wurde ermittelt, welche Lebensmittel die Probanden im Laufe des Lebens zu sich nehmen und dann berechnet, wie hoch der Glutenanteil an dieser Nahrung ist. Insofern untersucht die Studie nicht die bewusste glutenfreie Ernährung und ihre Auswirkungen. Es wurde lediglich ermittelt, dass Probanden mit einem höheren Anteil an Gluten in der Ernährung und Probanden mit einem niedrigeren Anteil an Gluten in der Ernährung möglicherweise unterschiedliche Erkrankungen haben. Bei genauerer Betrachtung der Studienergebnisse kommt man zu einem ganz interessanten Punkt: Menschen, die sehr viel Gluten zu sich nehmen und zeitgleich rauchen haben ebenfalls ein erhöhtes KHK-Risiko. Dies ist nicht überraschend, weil das Rauchen alleine bekanntermaßen schon ein erhöhtes KHK Risiko zur Folge hat. Betrachtet man die Menschen genauer, die eine niedrige Glutenaufnahme haben – also nicht bewusst eine glutenfreie Ernährung praktizieren, sondern einfach eine niedrigere Glutenaufnahme aufweisen – wird deutlich, dass diese häufiger unsportlich sind und häufiger Übergewicht haben. Sie nehmen fast doppelt so viel Alkohol zu sich und sie haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie an Diabetes oder einer KHK leiden. Wenn man die bestehenden Fälle von KHK und Diabetes der Probanden herausrechnet, dann sagen die Studien ganz eindeutig aus, das eine Ernährung mit niedrigem Glutenanteil kein Risikofaktor für eine KHK darstellt. In diesem Hinblick werden die Studien aktuell sehr frei und leider oft nicht ganz korrekt interpretiert.
 
Welche Ursachen können den erhöhten Fallzahlen von konorarer Herzkrankheit und Diabetes bei den Studienteilnehmern mit geringer Glutenzufuhr zugrunde liegen? Welche Rolle spielt der Ballaststoffanteil der Nahrung?
 
Hier gilt es zu bedenken, dass die Probanden, die sich glutenreduziert ernähren, das erhöhte Risiko zum Teil schon mitbringen. Denn die Studien zeigen, dass diese bereits zu Studienbeginn ein erhöhtes Risiko aufweisen, und es nicht im Laufe der Studie entwickeln. Denn sie sind bereits eingangs schon in höherem Maße von Diabetes und KHK betroffen als die Vergleichsgruppen. Das liegt vermutlich an einer Fehlernährung. Häufig ist es so, dass Menschen, die wenig Getreide verzehren, zu einer ungesunden Ernährung tendieren und beispielsweise eine fleischlastige Ernährung mit viel rotem Fleisch bevorzugen. Demgegenüber weisen diejenigen, die sich aus medizinischen Gründen bewusst glutenfrei ernähren, wie Patienten mit Zöliakie oder mit Gluten-/Weizensensitivität, meiner Erfahrung nach ein höheres Gesundheitsbewusstsein auf. Sie sind häufiger sportlich, eher schlank und trinken wenig Alkohol – also das genaue Gegenteil.
Eine besondere Rolle spielt aber auch der Ballaststoffanteil an der Ernährung. Eine glutenfreie oder glutenreduzierte Ernährung kann ein gewisses Risiko mit sich bringen, dass zu wenig Ballaststoffe aufgenommen werden. Diese sind jedoch wichtig, denn sie haben schützende Effekte im Hinblick auf das Entstehen verschiedener Erkrankungen. Hier kann eine fundierte Ernährungsberatung Patienten dabei unterstützen, eine ausgewogene glutenfreie Ernährung umzusetzen. Darüber hinaus ist heute eine große Vielfalt glutenfreier Produkte im Handel erhältlich, die einen hohen Ballaststoffanteil enthalten und ebenfalls helfen, Ernährungsfehler zu vermeiden. Die amerikanischen Kohortenstudien datieren demgegenüber auf eine Zeit zurück, in der diese glutenfreien Ersatzprodukte noch nicht verfügbar waren. Dass der Ballaststoffanteil an der Ernährung eine Rolle bei den Resultaten spielt, wird auch von den Autoren der Studien betont. Die Studienautoren kommen nicht zum Ergebnis, dass eine glutenreduzierte Ernährung mit einem erhöhten KHK-Risiko verbunden ist. Leider wird dies häufig anders dargestellt.
 
Was raten Sie Patienten, die aufgrund der Medienberichte über diese Studien verunsichert sind? Wie können Menschen, die auf Gluten verzichten müssen oder wollen, eine vollwertige und gesunde Ernährung sicherstellen?
 
Ich informiere sie genau über die Inhalte der Studien, auch darüber, dass die Studien keine Patienten mit bewusster glutenfreier Ernährung untersucht haben, sondern generell gesundes und ungesundes Ernährungsverhalten verglichen haben. Aber die glutenfreie oder glutenreduzierte Ernährung ist laut Studienergebnis nicht mit einem erhöhten KHK-Risiko verbunden. Was ich allen Patienten bei einer glutenfreien Diät auf jeden Fall rate, ist, auf einen ausreichenden Ballaststoffanteil an der Ernährung zu achten.
 
Welchen Stellenwert hat eine Ernährungsberatung bei Patienten, die eine glutenfreie Ernährung benötigen? Für welchen Patientenkreis empfehlen Sie eine entsprechende Begleitung durch Experten?
 
Man bekommt relativ rasch ein gutes Gespür dafür, welche Patienten in der Lage sind, eine ausgewogene glutenfreie Diät umzusetzen, weil sie sich zum Beispiel über Bücher und weitere Quellen informieren. Ein Teil der Betroffenen kann das sehr gut umsetzen. Diese Patienten erfassen auch relativ schnell, auf was sie achten müssen und wie sie ausreichend Ballaststoffe in ihre Ernährung integrieren. Bei Patienten, die das erste oder zweite Mal in die Praxis kommen, und bei denen ich den Eindruck habe, dass sie die Grundsätze gesunder glutenfreier Ernährung nicht ganz verstanden haben oder sie aus irgendwelchen Gründen nicht adäquat umsetzen können, stelle ich einen Beratungsschein für einen Ernährungsberater aus.  Damit habe ich gute Erfahrungen gemacht. Die Patienten erhalten durch eine fundierte Ernährungsberatung eine sehr gute Unterstützung.
 
Wie bewerten Sie die Sicherheit glutenfreier Spezialprodukte, die im Handel erhältlich sind? Auf was sollten Verbraucher beim Kauf achten?
 
Die heute verfügbaren glutenfreien Spezialprodukte sind für die Patienten ein Segen. Früher hieß glutenfrei tatsächlich, dass man auf Backwaren oder Getreideprodukte nahezu vollständig verzichten musste, zumindest sofern sie auf konventionellem Weg hergestellt waren. Das ist heutzutage durch diese Spezialprodukte völlig anders. Moderne glutenfreie Spezialprodukte werden professionell hergestellt und in ihrer Zusammensetzung kontrolliert. Dazu gehört ein adäquater Ballaststoff-, Protein- und Kohlenhydratanteil. Ich rate den Patienten bei Backwaren, bei Pasta, bei Nudelprodukten auf Produkte von Spezialherstellern zurückzugreifen, gerade weil sie auf diese Weise die benötigten Ballaststoffe erhalten.
 
Welche Therapieziele lassen sich mit einer solchen ausgewogenen glutenfreien Ernährung erreichen? Was können Patienten erwarten?
 
Unter einer ausgewogenen Ernährung können Patienten idealerweise eine Langzeitgesundheit erwarten, wie die Normalbevölkerung auch. Das ist gerade für die von Zöliakie Betroffenen sehr wichtig. Diese Patienten sind sehr froh sind, wenn sie sich adäquat ernähren können und damit die Aussicht auf eine normale Lebenserwartung haben. Auch andere Patienten, die unter Beschwerden wie Blähungen, weichen Stuhlgängen und Bauchkrämpfen leiden – zum Beispiel Patienten mit einer Weizenallergie oder einer Gluten-/Weizensensitivität – können mit einer adäquaten glutenfreien Ernährung weitgehende Beschwerdefreiheit erreichen. 
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