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Langfristiges Ansprechen auf eine glutenfreie Ernährung als Nachweis für Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität bei einem Drittel der Patienten mit Reizdarmsyndrom des Diarrhö-dominanten (RDS-D) und des gemischten Typs (RDS-M)

Barmeyer C, Schumann M, Meyer T et al.
Int J Colorectal Dis. 2016. DOI 10/1007/s00384-016-2663-x

Das Reizdarmsyndrom (RDS) ist eine häufige Funktionsstörung des Darms mit anerkannten wirtschaftlichen und sozialen Folgen, die den hohen krankheitsbedingten Ausfallzeiten und den mit dieser Krankheit assoziierten Einschränkungen der Lebensqualität geschuldet sind.
Häufig vermuten Patienten die Ursache ihrer Beschwerden in bestimmten Lebensmitteln, eine klassische Lebensmittelallergie liegt jedoch nur in seltenen Fällen vor. Seit einigen Jahren gibt es Hinweise, dass die Symptome bei einigen Subgruppen von RDS-Patienten möglicherweise durch Gluten ausgelöst werden und dass betroffene Patienten, selbst wenn keine der Zöliakie(CD)-typischen histologischen Marker nachgewiesen werden, daher von einer glutenfreien Ernährung (GFD) profitieren könnten. Dieses neue Krankheitsbild wurde zunächst als „Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität“ bezeichnet; in jüngerer Zeit hat sich jedoch der Begriff „Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität“ durchgesetzt, da andere Weizenbestandteile als Gluten beteiligt sein könnten.

In einer vorangegangenen offenen, nicht kontrollierten Studie zeigten die Autoren für HLA-DQ2-positive Patienten mit RDS-D einen klinischen Vorteil nach 6 Monaten unter GFD auf. Daher vermuteten die Autoren, dass der Genotyp HLA-DQ2 ein nützlicher Marker zur Identifizierung von glutensensitiven RDS-Patienten sein könnte, die von einer GFD profitieren würden.

Ein Ziel der Studie war es, zu untersuchen, ob die Proteine HLA-DQ2 und HLA-DQ8 geeignete Marker für die Diagnose einer Weizensensitivität (WS) sind. Ein weiteres Ziel war die Beurteilung des langfristigen klinischen Ansprechens auf eine GFD innerhalb einer definierten Patientenkohorte mit RDS-D und RDS-M. Die Patienten wurden im Rahmen der Sekundär- und Primärversorgung rekrutiert sowie über Anzeigen in Tageszeitungen und öffentlichen Verkehrsmitteln. Patienten mit anderen Störungen oder Krankheiten mit RDS-ähnlichen Symptomen wurden von der Studie ausgeschlossen.

91 Patienten (Alter > 18 Jahre) erfüllten die primären Kriterien (Rom-III-Kriterien, wöchentlich auftretende Symptome gemäß Angaben des Patienten) für RDS-D oder RDS-M und kamen für die vierwöchige Beobachtungsphase ohne Intervention infrage. (Da Obstipation kein klassisches Merkmal der CD ist, war nicht zu erwarten, dass bei Patienten mit Obstipations-dominantem Reizdarmsyndrom (RDS-O) eine WS vorliegen würde. RDS-O-Patienten wurden daher von der Studie ausgeschlossen.) Am Ende jeder Woche wurde die subjektive, allgemeine Beurteilung der Symptombesserung (SGA, subjective global assessment of relief) erfasst. Bei der SGA handelt es sich um eine Selbsteinschätzung durch den Patienten. Die Patienten bewerteten wöchentlich ihre aktuellen Beschwerden im Vergleich zur Situation vor ihrem Eintritt in die Studie. Der Fragebogen gab 5 mögliche Antworten vor. Patienten, die während der Beobachtungsphase bei allen vier wöchentlichen Befragungen angaben, dass ihre Beschwerden „unverändert“ oder „schlechter“ waren, wurden diagnostischen Tests unterzogen, um andere Krankheiten oder Störungen vor ihrem Einschluss in die Studie auszuschliessen. 45 Patienten schieden vor Ende der Beobachtungsphase aus. Davon 15 Patienten aufgrund einer signifikanten Besserung ihrer Beschwerden oder weil die Symptome weniger als ein Mal in der Woche auftraten und 30 Patienten aus anderen Gründen. 11 Patienten schieden aufgrund einer neuen Diagnose aus: CD (n = 3), Laktoseintoleranz (n = 3), Schwangerschaft (n = 1), erosive Duodenitis (n = 1), Giardiasis (n = 1) und Mastozytose (n = 1).

Letztendlich erfüllten 35 Patienten (15 RDS-D- und 20 RDS-M-Patienten) die Einschlusskriterien. Nach Einschluss in die Studie wurden die Patienten an zwei erfahrene Ernährungsberater überwiesen, die sie im Rahmen eines ersten Termins zunächst zur Umsetzung einer GFD im täglichen Leben berieten, um dann bei einem zweiten Termin 2 Wochen später die Einhaltung der Glutenkarenz zu überprüfen. Während der viermonatigen GFD-Phase wurde die allgemeine Beurteilung der Symptombesserung wöchentlich telefonisch abgefragt. Patienten, die im Verlauf der viermonatigen Glutenkarenz bei mindestens 75 % der wöchentlichen Befragungen eine erhebliche oder komplette Besserung ihrer Beschwerden angaben, wurden als Therapieerfolg (Responder R75) gewertet; sowohl das Ausmaß als auch die Beständigkeit des Therapieerfolgs wurden berücksichtigt. Grund für das verschärfte Kriterium von 75 % (versus üblicherweise 50 %) war die Annahme, dass primär WS-bedingte Symptome unter einer GFD verschwinden würden. Das mit 50 % weniger strikt definierte Kriterium für den Therapieerfolg (Responder R50) diente als sekundärer Zielparameter. Weitere sekundäre Zielparameter waren die am Ende der Studie erfassten Veränderungen in der Bewertung der Fragebögen IBS-QOL, IBS-SSS und EQ-5D sowie in den Scores zu Schmerzintensität, Stuhlkonsistenz und Stuhlfrequenz gegenüber der Ausgangssituation vor Eintritt in die Studie. Vor Beginn der glutenfreien Ernährung wurden den Patienten Blutproben zur Genotypisierung entnommen. Um eine Beeinflußung zu vermeiden, wurde der HLA-DQ2/8-Status jedoch erst nach Ende der viermonatigen Glutenkarenz bestimmt. Beim Follow-up 1 Jahr nach Ende der Studie wurde das langfristig eingehaltene Ernährungsregime der Patienten beurteilt und untersucht, ob die erreichte Symptombesserung von Dauer war.

Patientenbezogene Faktoren
40 % der Studienteilnehmer erwiesen sich als HLA-DQ2/8-positiv; damit lag die Rate etwas höher als in der Allgemeinpopulation. In der RDS-M-Gruppe wurde gegenüber der RDS-D-Gruppe ein signifikant höherer Anteil HLA-DQ2/8-positiver Patienten beobachtet (RDS-M: n = 10 (50 %) versus RDS-D: n = 4 (27 %). 94 % (33/35) der Patienten hielten sich während der Studie an eine GFD. Zwei RDS-M-Patienten schieden zwischen Woche 4 bis 6 aus, ein Patient, weil sich seine Symptome verstärkten (HLA-DQ2-positiv), und ein Patient, weil er eine Therapie zur Behandlung einer anderen Krankheit begann (HLA-DQ2-negativ). Beide Patienten wurden als Nicht-Responder gewertet. 

Weizensensitivität und Ansprechen auf eine GFD
Über die viermonatige Dauer der Glutenkarenz berichteten 12 von 35 Patienten (34 %) bei mindestens 75 % der wöchentlichen Befragungen über eine erhebliche oder komplette Besserung ihrer Beschwerden. Diese Patienten wurden als Therapieerfolg (Responder R75) gewertet. In beiden RDS-Gruppen war der Anteil der Responder R75 vergleichbar. Bei Anwendung des weniger strikt definierten Zeitkriteriums für den Therapieerfolg (50 % der wöchentlichen Befragungen) stieg der Anteil der Responder (R50) auf 51 %.

Assoziation zwischen dem HLA-DQ2/8-Status und dem Vorliegen einer Weizensensitivität
Eine Assoziation zwischen der HLA-DQ2- oder DQ8-Expression und dem Vorliegen einer Weizensensitivität wurde nicht aufgezeigt; tatsächlich war der Anteil der als Therapieerfolg gewerteten Patienten in der Gruppe der HLA-DQ2/8-negativen Studienteilnehmer höher. Mit einer Sensitivität von 25 % und einer Spezifität von 52 % eignete sich die Expression von HLA-DQ2 oder DQ8 nicht, um in dieser RDS-Kohorte Patienten mit bzw. ohne WS zu identifizieren.

Instrumente zur Erfassung der Lebensqualität bei Respondern und Nicht-Respondern
In der R75-Gruppe vermeldeten 5 von 9 Patienten nach 4 Monaten unter GFD einen IBS-SSS-Score von unter 75 Punkten, d. h. die Krankheitssymptome gingen unter der GFD zurück (Remission). Demgegenüber gingen nur 4 von 17 Patienten in der Gruppe der Nicht-Responder (NR75) in Remission. Die Gesamtscores der Fragebögen IBS-QOL und EQ-5D zeigten ebenfalls eine positive Tendenz. Beim Vergleich der zwei relevanten RDS-Parameter, „Schmerzen“ und „Blähungen/Völlegefühl“, zeigte sich nur für den Parameter „Blähungen/Völlegefühl“ eine signifikante Besserung in der R75-Gruppe versus der NR75-Gruppe. Der Parameter „Schmerzen“ zeigte lediglich eine Tendenz zur Besserung, eine Beobachtung, die auch für die Parameter„Zufriedenheit mit Stuhlgewohnheiten“ und „Beeinträchtigung von normalen alltäglichen Aktivitäten“ galt.

In der R50-Gruppe verzeichneten 9 von 15 Patienten nach 4 Monaten unter GFD einen IBS-SSS-Score von unter 75 Punkten und eine höhere Punktzahl bei der Beantwortung der Fragebögen IBS-QOL und EQ-5D. Diese Ergebnisse standen im Einklang mit den Ergebnissen der R75-Gruppe, die Unterschiede waren jedoch ausgeprägter. In der Tat konnte gegenüber der Gruppe der Nicht-Responder (NR50) eine signifikante Symptombesserung nach Einhaltung einer GFD beobachtet werden, mit den entsprechenden Ergebnissen für die Parameter „Abdominalschmerzen“, „Blähungen/Völlegefühl“, „Zufriedenheit mit Stuhlgewohnheiten“ und „Beeinträchtigung von normalen alltäglichen Aktivitäten“. Im Hinblick auf den Parameter „Stuhlfrequenz“ zeigten sich weder bei den RDS-D- noch bei den RDS-M-Respondern signifikante Veränderungen; in der RDS-D-Gruppe wurde lediglich eine Tendenz zu einer verringerten Frequenz beobachtet. Zusammengefasst zeigte ein Vergleich der Zielparameter bei Anwendung des Erfolgskriteriums 50 % bzw. 75 % in beiden Gruppen nach 4 Monaten unter GFD eine signifikante Besserung der Symptome und der Lebensqualität, wobei die Ergebnisse in der R50-Gruppe deutlich ausgeprägter waren als in der R75-Gruppe.

Dauer der GFD bis zum klinischen Ansprechen
Eine erhebliche Anzahl der Patienten, nämlich 6 RDS-D-Patienten (1 DQ2-positiv) und 7 RDS-M-Patienten (3 DQ2-positiv/1 DQ8-positiv) sprach verzögert auf die GFD an. Bei diesen Patienten zeigte sich der Therapieerfolg (definiert als erhebliche oder komplette Besserung der Beschwerden) erst nach etwa 2 Monaten und dauerte an. Bei Anwendung des Zeitkriteriums von 75 % wären diese Patienten als „Nicht-Responder“ gewertet worden; 7 Patienten (4 RDS-D; 0 DQ2/8-positiv und 3 RDS-M; 0 DQ2/8-positiv) wurden aufgrund ihres stark verzögerten Ansprechens selbst bei Anwendung des weniger strikten Kriteriums von 50 % als Nicht-Responder gewertet.

Follow-up nach 1 Jahr
7 von 11 Patienten (64 %) in der R75-Gruppe befolgten nach wie vor eine strikte GFD. Die meisten dieser Patienten vermeldeten unverändert eine erhebliche oder komplette Besserung ihrer Beschwerden. 4 von 11 Patienten in der R75-Gruppe befolgten eine GFD mit einigen gelegentlichen Abweichungen und beurteilten ihre Symptome als erheblich verbessert. In der Gruppe der Nicht-Responder hielten 6 Patienten (33 %) weiter eine GFD ein, die Mehrheit vermeldete nach wie vor eine gewisse Besserung der Beschwerden. Die Autoren stellten für alle Responder eine konsequente Einhaltung der GFD und eine andauernde Besserung der Symptome fest.

Zusammengefasst stützen die Ergebnisse die Vermutung, dass sich unter Patienten mit RDS-D und RDS-M häufig Patienten mit WS befinden. Da sich eine Assoziation zwischen dem Vorliegen einer WS und dem HLA-DQ2/8-Status nicht nachvollziehen lässt, kann der HLA-DQ2/8-Status nicht als prädiktiver Marker herangezogen werden. Es gibt Hinweise, dass eine GFD bei Patienten mit nicht Obstipations-dominantem RDS zu einer Besserung der Beschwerden führt. Eine längerfristige GFD scheint jedoch erforderlich zu sein, um alle Responder identifizieren zu können, da zwei unterschiedliche Ansprechverhalten beobachtet wurden: i) frühes Ansprechen, d. h. Responder, die sofort von einer GFD profitierten und ii) spätes Ansprechen, d. h. Responder, die erst nach 2 Monaten unter GFD einen klinischen Nutzen verzeichneten. Dies lässt vermuten, das zwei unterschiedliche Mechanismen für die beobachtete Besserung der gastrointestinalen Symptome verantwortlich sein könnten.

Link zur Studie
www.drschaer-institute.com